Lügenverbot im Gespräch: Streit um den Umgang mit Desinformation im neuen Koalitionsvertrag
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Lügenverbot im Gespräch: Streit um den Umgang mit Desinformation im neuen Koalitionsvertrag

Noch bevor die neue schwarz-rote Bundesregierung offiziell ihre Arbeit aufgenommen hat, sorgt ein Passus im Koalitionsvertrag für hitzige Diskussionen. Insbesondere die Formulierung zum „Umgang mit Desinformation“ wird von Juristen und Medienexperten als potenziell problematisch angesehen.

Meinungsfreiheit vs. falsche Tatsachenbehauptungen

Im Vertrag zwischen CDU und SPD heißt es: „Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt.“ Ziel sei es, mit Hilfe einer staatsfernen Medienaufsicht gegen Hassrede, Hetze und bewusste Manipulation von Informationen vorzugehen – stets unter Wahrung der Meinungsfreiheit.

Doch genau dieser Zusatz sorgt für juristische und gesellschaftliche Bedenken. Kritiker sprechen von einem „Lügenverbot“, das weitreichende Folgen für den öffentlichen Diskurs haben könnte.

Was sind falsche Tatsachenbehauptungen?

Laut dem Medienanwalt Joachim Steinhöfel lassen sich Tatsachen – im Gegensatz zu Meinungen – objektiv überprüfen. Eine Aussage sei dann falsch, wenn sie objektiv nicht stimme, so wie etwa die Behauptung „Die Erde ist eine Scheibe“. Rechtsprofessor Volker Boehme-Neßler von der Universität Oldenburg erklärt: „Das ist die klassische Lüge.“

Ist das Verbreiten falscher Aussagen durch Meinungsfreiheit gedeckt?

Viele Juristen bejahen dies ausdrücklich. Professor Boehme-Neßler betont: „Ich darf Unsinn erzählen, das ist Teil meiner Freiheit – auch wenn es mich lächerlich macht.“ Auch Strafrechtler Udo Vetter weist darauf hin, dass es kein allgemeines Verbot gebe, unwahre Aussagen zu verbreiten. „Der Staat greift hier massiv in den Alltag ein“, warnt Boehme-Neßler.

Der vage Begriff „Hass und Hetze“

Ein weiterer kritischer Punkt ist die Verwendung der Begriffe „Hass“ und „Hetze“. Jurist Steinhöfel merkt an: „Unser Strafgesetzbuch kennt diese Formulierungen gar nicht.“ Auch Vetter kritisiert die Unschärfe: „Der Begriff ist so schwammig, das ist im Rechtsstaat unzulässig.“

Droht eine neue Form der Zensur?

Mit Blick auf mögliche Gesetzesentwürfe stellt sich die Frage, wer künftig rechtlich belangt werden könnte. Steinhöfel hält fest: „Das wird sich erst zeigen, wenn konkrete Gesetzesformulierungen vorliegen.“ Bisher existierten nur vage Absichtsbekundungen. Die Sorge vieler Juristen: Es könnte auf eine neue Form staatlicher Kontrolle hinauslaufen.

Wer kontrolliert künftig die Medien?

Der Vertrag spricht von einer „staatsfernen Medienaufsicht“. Laut Boehme-Neßler handelt es sich hierbei in der Regel um die Landesmedienanstalten. Doch diese könnten durch neue Kompetenzen gestärkt werden. Der Rechtsprofessor warnt: „Der Staat will die Aufsicht der Medien ausweiten.“ Dies könne mit der grundgesetzlich garantierten Medienfreiheit in Konflikt geraten.

Auch Udo Vetter äußert sich deutlich: „Im Prinzip ist das die Einführung der Zensur.“

Was bedeutet das für kleine Medien und Blogger?

Für Betreiber kleiner Webseiten oder Blogs könnte eine verschärfte Aufsicht gravierende Folgen haben. Medienanwalt Steinhöfel berichtet von bereits jetzt stattfindenden „rechtswidrigen Einschüchterungsversuchen“ durch einige Medienanstalten. Boehme-Neßler ergänzt: „Wenn ein Seitenbetreiber nicht aufpasst, dann muss er ein Bußgeld zahlen. Das kann ihn ruinieren.“

Rechtslage heute: Was gilt aktuell?

Auch ohne neue gesetzliche Regelungen gibt es bereits Vorgaben zur Bekämpfung strafbarer Inhalte im Netz. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) verpflichtet Online-Plattformen dazu, offensichtlich strafbare Inhalte zu löschen. Zusätzlich regelt das Strafgesetzbuch bereits Tatbestände wie Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung sowie die spezielle Politiker-Beleidigung.

Fallbeispiel: Urteil gegen Chefredakteur wegen manipulierten Bildes

Ein aktuelles Beispiel verdeutlicht die Problematik. Der Chefredakteur des AfD-nahen Mediums „Deutschland-Kurier“, David Bendel, wurde zu sieben Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Grund: Er hatte ein manipuliertes Bild von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verbreitet. Auf dem Original-Foto war die Aufschrift „We Remember“ zu sehen – auf dem manipulierten Bild stand etwas anderes.

Sogar die Grünen-Politikerin Ricarda Lang äußerte sich kritisch zum Urteil. Ihrer Ansicht nach sei hier die Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt gewesen.

Warnung vor überzogenen Einschränkungen

Angesichts der bestehenden Gesetze und Urteile warnt Boehme-Neßler vor weiteren Einschränkungen: „Wir haben schon jetzt einschränkende Gesetze. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu viel einschränken, sonst bleibt von der Meinungsfreiheit nicht mehr viel übrig.“