Obwohl in Deutschland seit 2020 eine Impfpflicht gegen Masern besteht, bleiben die Impfquoten weiterhin bedenklich niedrig. Die Barmer-Krankenkasse hat in ihrem aktuellen Arzneimittel-Report alarmierende Zahlen veröffentlicht, die verdeutlichen, dass immer noch zu viele Kinder nicht ausreichend gegen Masern und andere schwerwiegende Infektionskrankheiten geschützt sind.
Masern, Keuchhusten oder Mumps sind keine harmlosen Kinderkrankheiten. Dennoch zeigen die aktuellen Zahlen, dass Deutschland die angestrebte Herdenimmunität weiterhin nicht erreicht. Experten warnen vor den Risiken, die durch diese Impflücken entstehen und fordern verstärkte Aufklärungskampagnen sowie gezielte Maßnahmen zur Erhöhung der Impfbereitschaft.
Masernschutz bleibt hinter den Erwartungen
Trotz der Impfpflicht waren 2022 nur rund 87 Prozent der Zweijährigen vollständig gegen Masern geimpft. Dies bedeutet zwar eine Verbesserung von 8 Prozent im Vergleich zu 2019, reicht jedoch bei Weitem nicht aus. Um eine effektive Herdenimmunität zu erreichen und somit auch vulnerable Bevölkerungsgruppen zu schützen, wäre eine Impfquote von mindestens 95 Prozent erforderlich.
Prof. Dr. med. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer, betont: "Um dieses Ziel zu erreichen, sind weitere gezielte Maßnahmen notwendig, darunter verstärkte Aufklärungskampagnen sowie eine intensivere Informationsvermittlung an Eltern, um bestehende Vorbehalte gegenüber Impfungen abzubauen."
Regionale Unterschiede: Besonders niedrige Impfquoten im Süden Deutschlands
Die Analyse zeigt erhebliche regionale Unterschiede in der Impfquote. Besonders alarmierend sind die Zahlen in Bundesländern wie Sachsen, Baden-Württemberg und Bayern, wo der Masernschutz noch deutlicher hinter dem bundesweiten Durchschnitt zurückbleibt:
- In Sachsen lag die Impfquote bei nur 77 Prozent.
- In Baden-Württemberg waren es 84 Prozent.
- In Bayern lediglich 85 Prozent.
Erschreckend ist zudem die Anzahl an Kindern, die gar nicht gegen Masern geimpft wurden: Laut dem Report waren 2022 fast 5 Prozent der im Jahr 2020 geborenen Kinder nicht einmal mit der ersten Masernimpfung versorgt.
Gefahr durch regionale Masernausbrüche
"Impflücken stellen nicht nur eine Gefahr für die Gesundheit der betroffenen Kinder dar, sondern schwächen den Schutz für die gesamte Bevölkerung", erklärt Prof. Dr. med. Daniel Grandt, Chefarzt am Klinikum Saarbrücken und Studienautor des Reports. "Je größer die regionalen Unterschiede in den Impfquoten ausfallen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für lokale Masernausbrüche."
Dass diese Gefahr real ist, zeigen die weltweiten Entwicklungen: Im Jahr 2022 stieg die Anzahl der Todesfälle durch Masern im Vergleich zum Vorjahr um alarmierende 43 Prozent. Auch in Europa kam es zuletzt wieder zu mehreren Masernausbrüchen.
Impfverweigerung: Ein besorgniserregender Trend
Ein weiteres besorgniserregendes Ergebnis des Berichts ist, dass bundesweit etwa 3 Prozent der im Jahr 2020 geborenen Kinder überhaupt keine Impfung erhalten haben. Das entspricht rund 20.800 Kindern, die vollkommen ohne Impfschutz aufwachsen.
Straub warnt: "Es ist alarmierend, dass noch immer so viele Kinder keinerlei Impfschutz haben. Diese Impflücke gefährdet nicht nur die betroffenen Kinder selbst, sondern auch Menschen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können."
Nicht nur Masern: Impflücken bei weiteren Krankheiten
Auch bei anderen wichtigen Impfungen bleiben die Quoten in Deutschland unter den empfohlenen Zielwerten:
- Nur 81 bis 84 Prozent der Kinder erhalten bis zum Ende ihres zweiten Lebensjahres Impfungen gegen Diphtherie, Keuchhusten, Polio oder Hepatitis B.
- Besonders niedrig ist die Impfquote bei Rotaviren, die schwere Magen-Darm-Erkrankungen verursachen können: Nur 72,4 Prozent der Kleinkinder erhalten diese Impfung.
Das bedeutet, dass sich weiterhin erhebliche Impflücken auftun, die schwere Erkrankungen und vermeidbare Todesfälle zur Folge haben könnten.
Gefahr der Rückkehr von Polio und anderen Krankheiten
Die geringe Impfbereitschaft in Deutschland könnte auch dazu führen, dass bereits eliminierte oder selten gewordene Krankheiten wieder vermehrt auftreten.
So wurden in den vergangenen Jahren Polio-Viren in vier europäischen Ländern nachgewiesen, darunter auch Deutschland. Dies zeigt, dass selbst vermeintlich besiegte Krankheiten zurückkehren können, wenn der Impfschutz in der Bevölkerung nicht aufrechterhalten wird.
Ein Blick nach Großbritannien verdeutlicht die Folgen unzureichender Impfquoten: Dort wurden allein in den ersten beiden Monaten des Jahres 2024 bereits 521 Masernfälle und ein Todesfall registriert. Experten warnen, dass ähnliche Ausbrüche auch in Deutschland zu erwarten sind, sollte sich der Trend nicht umkehren.
Impflücken im Erwachsenenalter: Risiken durch fehlende Auffrischungsimpfungen
Nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene müssen sich regelmäßig impfen lassen, um einen umfassenden Schutz gegen verschiedene Erkrankungen sicherzustellen. Besonders problematisch sind Impflücken bei Keuchhusten, da die Krankheit hochansteckend ist und bei Erwachsenen oft schwerer verläuft als im Kindesalter.
Auch die Impfung gegen das humane Papillomavirus (HPV), die Gebärmutterhalskrebs vorbeugen kann, wird nicht von allen Jugendlichen in Anspruch genommen. Wer in der Jugend nicht geimpft wurde, hat ein erhöhtes Risiko, später an Gebärmutterhalskrebs oder anderen HPV-bedingten Erkrankungen zu leiden.
Forderung nach besseren Impfstrategien
Um die Impfquoten nachhaltig zu verbessern, fordern Experten eine Reihe von Maßnahmen:
- Intensivere Aufklärungskampagnen, um Vorurteile und Fehlinformationen zu bekämpfen.
- Erleichterung des Zugangs zu Impfungen, beispielsweise durch niedrigschwellige Angebote in Kitas und Schulen.
- Strengere Kontrolle der Impfpflicht, um sicherzustellen, dass alle Kinder die erforderlichen Impfungen erhalten.
- Bessere digitale Impfüberwachung, um versäumte Impfungen frühzeitig zu erkennen und nachzuholen.
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Titelbild: Impfung
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