Ärztepräsident warnt vor drohendem Versorgungsnotstand im Gesundheitswesen
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Ärztepräsident warnt vor drohendem Versorgungsnotstand im Gesundheitswesen

Angesichts wachsender Nachfrage nach medizinischen Leistungen bei gleichzeitigem Fachkräftemangel schlägt der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, Alarm. Der deutsche Gesundheitssektor stehe vor einem strukturellen Kollaps, wenn nicht rasch und entschieden gegengesteuert werde, warnte Reinhardt gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.

„Unser Gesundheitswesen steuert ungebremst auf einen Versorgungsnotstand zu“, erklärte der Ärztepräsident. Ein zentraler Hebel zur Stabilisierung sei aus seiner Sicht eine konsequentere Steuerung der Patientenversorgung. Dabei sprach er sich für eine verbindliche Einschreibung von Patientinnen und Patienten bei Hausarztpraxen aus, die künftig als koordinierende Instanz für die gesamte medizinische Weiterbehandlung fungieren sollen.

Hausarztmodell als neues Steuerungskonzept

Reinhardt kritisierte die derzeitige Praxis, in der Patientinnen und Patienten weitgehend selbst für die Organisation ihrer medizinischen Versorgung verantwortlich seien. Insbesondere vulnerable Gruppen wie ältere Menschen, chronisch Kranke und Personen mit geringer Gesundheitskompetenz seien damit überfordert.

Mit durchschnittlich 9,6 Arztkontakten pro Kopf im Jahr zählt Deutschland laut Reinhardt zu den Spitzenreitern im internationalen Vergleich. In einzelnen Regionen würden manche Bürger sogar zwei Hausärzte regelmäßig konsultieren. „Diese Entwicklung ist nicht nur ineffizient, sondern unter den Bedingungen von Personalengpässen und knappen finanziellen Ressourcen schlicht nicht mehr tragbar“, sagte er.

Koalition plant Hausärztepflicht

Im politischen Raum gibt es Bestrebungen, die Rolle der Hausärzte zu stärken. Union und SPD planen, dass Patientinnen und Patienten künftig grundsätzlich zuerst eine Hausarztpraxis aufsuchen sollen. Von dort aus würden sie – nach Bedarf und innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens – an Fachärzte überwiesen.

Keine Abschottung, sondern gezielte Koordination

Reinhardt betonte, es gehe nicht darum, den Zugang zur medizinischen Versorgung durch ein sogenanntes Gatekeeping einzuschränken. Vielmehr solle eine Überweisung durch die Hausärztin oder den Hausarzt erfolgen, wenn eine fachärztliche Behandlung notwendig oder absehbar sei. Das Ziel sei eine gezielte Steuerung, nicht die Einschränkung des Zugangs.

Digitalisierung als Leitprinzip

Künftig solle laut Reinhardt das Prinzip „digital vor ambulant vor stationär“ maßgeblich sein. Das bedeute, dass die erste Kontaktaufnahme und medizinische Einschätzung möglichst digital erfolgen solle. Erst anschließend solle die ambulante Versorgung in Praxen und bei Bedarf eine stationäre Behandlung in Krankenhäusern folgen.

Demografischer Wandel verschärft Fachkräftemangel

Ein weiterer Aspekt, der den Handlungsdruck erhöht, sei der demografische Wandel. Die Bevölkerung werde älter, der medizinische Versorgungsbedarf steige. Gleichzeitig würden viele Fachkräfte altersbedingt aus dem System ausscheiden, während der medizinische Nachwuchs nicht im ausreichenden Maß nachkomme. Reinhardt sieht deshalb eine grundlegende Umstrukturierung des Gesundheitswesens als unausweichlich.