Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan plante ursprünglich, am Samstag nach Aserbaidschan zu reisen. Nach heftiger Kritik am Torjubel des türkischen Nationalspielers Merih Demiral bei der EM entschied er sich jedoch kurzfristig, nach Berlin zu kommen. Erdogan will dort das Viertelfinalspiel der Türkei gegen die Niederlande live im Stadion verfolgen, wie die Deutsche Presse-Agentur berichtete.
Grund: Diskussion um Wolfsgruß
Türkische Medien berichteten, dass der Hauptgrund für Erdogans Planänderung die hitzige Debatte um den sogenannten Wolfsgruß sei, den Demiral nach einem Tor zeigte. Erdogan wolle der türkischen Mannschaft demonstrativ den Rücken stärken.
Diplomatische Reaktionen
Das deutsche Außenministerium bestellte am Donnerstagvormittag den türkischen Botschafter ein, um die Situation zu besprechen. Auch die Türkei reagierte und bestellte den deutschen Botschafter ein. Die türkische Seite kritisierte die deutschen Behörden scharf und bezeichnete ihre Reaktionen auf Demiral als "fremdenfeindlich".
Skandal im Achtelfinale
Demiral zeigte den Wolfsgruß nach seinem zweiten Tor im Achtelfinale gegen Österreich, was für große Empörung sorgte. Unter anderem kritisierte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (53, SPD) die Geste scharf. Der Wolfsgruß ist das Symbol der rechtsextremen und antisemitischen „Grauen Wölfe“ (Bozkurtlar). Schätzungen zufolge gehören in Deutschland etwa 20.000 Personen dieser Gruppe an, die damit die größte rechtsextreme Organisation im Land darstellt. In Österreich ist der Wolfsgruß seit März 2019 verboten, und auch in Deutschland wird ein Verbot diskutiert.
Hintergrund der „Grauen Wölfe“
Die „Idealisten“ (Ülkücüler) vertreten eine extrem nationalistische und islamistische Ideologie. Sie verbreiten Hass gegen Kurden, Juden, Christen, Armenier, Griechen, die EU und die USA. Ihr Ziel ist ein türkisches Großreich und letztlich die Weltherrschaft. Der Wolfsgruß symbolisiert diesen Anspruch. Der Gründer der Bewegung, Alparslan Türkes (1917–1997), erklärte die Bedeutung der Geste: „Der kleine Finger steht für die Türken, der Zeigefinger für den Islam. Der entstehende Ring symbolisiert die Welt, und der Punkt, an dem sich die restlichen Finger treffen, ist der Stempel. Das bedeutet: Wir werden der Welt unseren türkisch-islamischen Stempel aufdrücken.“
Terrorvergangenheit der Grauen Wölfe
Die von Türkes gegründete MHP regiert heute in Koalition mit Erdogans AKP die Türkei, trotz ihrer langen Terror-Geschichte. Diese umfasst hunderte politische Morde in der Türkei in den 1970er- und 80er-Jahren, Pogrome gegen Aleviten und Bombenanschläge in Paris und Bangkok (2015, 15 Tote, 125 Verletzte). Auch das Attentat auf Papst Johannes Paul II. im Jahr 1981 wurde von einem Mitglied der Grauen Wölfe verübt.
Rechtliche Situation in Deutschland
In Deutschland ist der Wolfsgruß – im Gegensatz zum Hitlergruß – nicht strafbar. Früher wurde die Geste auch in Kitas und Grundschulen als „Schweigefuchs“ verwendet, um zur Ruhe zu ermahnen. Wegen der Ähnlichkeit zum Wolfsgruß wird dieser jedoch immer seltener gezeigt.
Scholz und Erdogan: Kein Treffen in Berlin
Zu einem Treffen zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wird es in Berlin nicht kommen. Nach Informationen der BILD wird Scholz auch beim Türkei-Spiel nicht im Stadion anwesend sein.
Keine offizielle Einladung von der Bundesrepublik
Obwohl Erdogan eine offizielle Einladung erhalten hat, stammt diese nicht von der Bundesrepublik, sondern von der UEFA. Diese stellt Ehrenkarten zur Verfügung und bemüht sich, Staats- und Regierungschefs der spielenden Mannschaften ins Stadion zu holen.
Nato-Gipfel als Begegnungsort
Die Einreise in das NATO-Partnerland Türkei stellt jedoch keine Hürde dar. Am Dienstag werden sich Scholz und Erdogan beim NATO-Gipfel treffen.
Bewertung der Reise als Privatbesuch
Die Polizei, sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene, stuft Erdogans Reise als „Privatbesuch“ ein. Daher sind keine umfangreichen Streckenschutzmaßnahmen, wie sie zuletzt durchgeführt wurden, geplant.