Seit vielen Jahren diskutiert Deutschland über Reformen des Rentensystems, doch keine der bisherigen Initiativen konnte das von Überalterung und demografischen Herausforderungen geprägte System langfristig stabilisieren. Nun plant die Bundesregierung um Finanzminister Christian Lindner (FDP), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Kanzler Olaf Scholz (SPD) eine umfassende Reform, die die Altersvorsorge für alle Bürger solider und zukunftsfähiger gestalten soll. Im Fokus steht dabei die Einführung einer privaten Altersvorsorge in Form von ETFs (Exchange Traded Funds) und Rentenfonds – quasi eine „Riester-Rente 2.0“, nur besser.
Hintergrund: Kritik und Forderungen nach Veränderung
Im Juli beschloss die Bundesregierung das Rentenpaket II, welches prompt von Experten und Analysten kritisiert wurde. Die Ampelkoalition habe eine historische Chance vertan, die Grundlagen für eine zukunftssichere Rentenreform zu schaffen, so Steven Lischka, Geschäftsführer der Deutsche Mittelstandsversorgung. Er betonte, dass eine nachhaltige Rentenreform vor allem mehr Förderung der privaten Vorsorge benötige.
Lange Zeit schien es, als ob die Regierung diese Forderungen ignorieren würde. Ein Papier des SPD-Vorstands vom Montag bekräftigte die Ablehnung einer umfassenden Privatisierung der Rente. Doch laut Informationen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ könnte bereits in der kommenden Woche ein Gesetzesentwurf vorgelegt werden, der tatsächlich eine stärkere Betonung auf private Vorsorge legt. Dieses neue Konzept könnte die Altersvorsorge für Angestellte grundlegend verändern, indem es an das amerikanische Modell eines Altersvorsorgedepots angelehnt ist und die Attraktivität von ETF-Sparplänen deutlich erhöht.
Ein neues Altersvorsorgedepot als Ergänzung zur gesetzlichen Rente
Die Ampel-Koalition plant, Sparleistungen in einem Altersvorsorgedepot entweder zu bezuschussen oder steuerlich besserzustellen. Darunter sollen auch ETF-Sparpläne, Einzelaktien und andere Fonds fallen. Diese Vorschläge wurden bereits vor einem Jahr von einer Expertengruppe entwickelt. „Verlustrisiken können zum Beispiel dadurch reduziert werden, dass frühzeitig mit der Altersvorsorge begonnen wird und lange Anlagezeiträume erreicht werden“, argumentierten die Experten. Die Ministerien arbeiten seither daran, diese Vorschläge in Gesetzesform zu gießen.
Ein ähnliches Modell gibt es bereits in den USA, wo Bürger einen Teil ihres Lohnes direkt in Finanzmarktprodukte investieren können. Die Steuer wird erst bei der Auszahlung fällig, wodurch die Anleger mehr von ihren Gewinnen behalten, als wenn sie den Lohn zuerst versteuern und dann investieren würden. Ein solcher Schritt würde in Deutschland jedoch nicht die gesetzliche Rente ersetzen, sondern diese ergänzen.
Die Schwächen der gesetzlichen Rente und die Notwendigkeit der privaten Vorsorge
Die gesetzliche Rente steht vor großen Herausforderungen: Eine alternde Bevölkerung belastet das System zunehmend. Zwar hat die Bundesregierung zugesichert, das Rentenniveau bis 2040 bei 48 Prozent zu halten, doch nach Ablauf dieser Garantie könnte es deutlich absinken. Aus diesem Grund bleibt eine private Zusatzabsicherung ein entscheidender Schutz gegen Altersarmut für jeden Angestellten.
ETFs als Lösung gegen niedrige Renditen und hohe Regulierung
Bereits im Jahr 2000 führte die rot-grüne Bundesregierung die Riester-Rente ein, um Anreize für mehr private Altersvorsorge zu schaffen. Doch die Ergebnisse enttäuschten viele Sparer. Trotz langer Sparphasen erhielten die meisten im Ruhestand wenig zurück, da das System unter zu vielen Auflagen litt. Die Regulierung zwang die Anbieter dazu, auf sichere, aber wenig rentable Anlagen zu setzen, da sie den Anlegern mindestens die eingezahlten Beiträge garantieren mussten. Dies führte dazu, dass die Renditen niedrig blieben und die Kosten für die Verwaltung hoch waren.
Mit dem Aufstieg von ETFs hat sich die Situation jedoch grundlegend verändert. ETFs bieten niedrige Gebühren, sind einfach zu verwalten und vermeiden riskante Spekulationen. Obwohl Verluste möglich sind, haben Anleger in der Vergangenheit über lange Zeiträume hinweg meist solide Gewinne erzielt. Diese Entwicklungen lassen sowohl die Politik als auch Experten glauben, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für einen neuen Versuch einer privaten Altersvorsorge gekommen ist.
Vorteile des neuen Modells: Höhere Renditen durch ETF-Sparen
Das neue System könnte dazu beitragen, mehr Menschen in Aktien-Sparformen zu bringen und ihnen eine solide Altersabsicherung zu bieten. Ein einfaches Beispiel verdeutlicht die möglichen Vorteile:
- Wer monatlich 20 Euro in einen ETF spart und eine durchschnittliche Rendite von sechs Prozent erzielt, kann über ein Arbeitsleben von 45 Jahren mehr als 40.000 Euro ansparen. Hebt der Sparer im Rentenalter nur die Rendite ab, hat er monatlich rund 200 Euro zusätzlich.
- Wer monatlich 40 Euro spart, hat im Alter 400 Euro extra. Bei 100 Euro Sparbetrag im Monat sind es sogar 1.000 Euro.
Diese Beträge sind Bruttobeträge. Aktuell verlangt die Bundesregierung 25 Prozent Steuern auf Aktiengewinne über einem Freibetrag. Bei 2.000 Euro brutto bleiben nach Steuern etwa 1.500 Euro netto. Trotz dieser Steuerlast bietet das lebenslange ETF-Sparen Schutz gegen sinkende gesetzliche Renten. Sollten die Renditen durch staatliche Zuschüsse und Steuererleichterungen weiter verbessert werden, würden ETFs noch attraktiver.
In der Vergangenheit stiegen viele ETFs stärker als die angenommenen sechs Prozent; Renditen von acht bis zehn Prozent waren keine Seltenheit. Gleichzeitig fallen die Gebühren für ETFs meist deutlich unter ein Prozent, was sie zu einer kostengünstigen Option für die private Altersvorsorge macht.
Flexiblere Auszahlungen und höhere Eigenverantwortung
Während die Riester-Rente Auszahlungen bis ans Lebensende garantiert, wird die Bundesregierung künftig wahrscheinlich auf mehr Flexibilität setzen. Die Experten fordern eine Option für höhere Teilauszahlungen und Verrentungspläne, die nur „einen hohen Anteil der erwarteten Rentenzeit“ abdecken, aber nicht die gesamte. Dies könnte zu einer höheren Eigenverantwortung der Sparer führen.
Im schlimmsten Fall könnten Rentner über Jahrzehnte hinweg ohne ausreichende finanzielle Mittel leben, nachdem ihnen das Geld ausgegangen ist. Berechnungen zeigen jedoch, dass eine Sparsumme von 35.000 Euro – dem derzeitigen durchschnittlichen Finanzvermögen von Haushalten zwischen 65 und 74 Jahren – selbst bis ins hohe Alter reichen kann. Wer allerdings zu Beginn des Ruhestands große Summen für Reisen oder andere Ausgaben entnimmt, muss mit einem geringeren verbleibenden Betrag kalkulieren.
Versicherungsverbände fordern mehr Garantien
Die Diskussion über die Neugestaltung der Altersvorsorge wird intensiv geführt. Versicherungsverbände werben für zusätzliche Garantien, um die Risiken für die Anleger zu minimieren. Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), schlägt als Kompromiss eine lebenslange Leistung mit bis zu 80 Prozent garantierten Beiträgen vor. Dieser Ansatz soll sowohl den Sicherheitsbedürfnissen der Bürger als auch den Anforderungen einer marktwirtschaftlichen Lösung gerecht werden.