Ein weiterer Paukenschlag sorgte im anhaltenden Rechtsstreit um die Wahl des Thüringer Landtagspräsidenten für Aufsehen. Ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs legte fest, dass die AfD, als stärkste Fraktion im Landtag, kein exklusives Vorschlagsrecht für die Wahl des Landtagspräsidenten hat. Diese Entscheidung fiel nur einen Tag nach der abrupt abgebrochenen ersten Sitzung des Thüringer Landtags und veränderte die Spielregeln für die Wahl am folgenden Tag.
Seit heute Samstag um 9.30 Uhr geht die Sitzung weiter.
Hintergrund des Konflikts im Thüringer Landtag
Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht Jürgen Treutler, der als Alterspräsident des Thüringer Landtags agierte. Treutler, Mitglied der AfD und 73 Jahre alt, führte am Donnerstag die erste Sitzung nach der Wahl und blockierte mehrfach die Durchführung einer Abstimmung über die Geschäftsordnung des Landtags. Die CDU-Fraktion hatte eine Änderung dieser Ordnung beantragt, die es allen Fraktionen ermöglichen sollte, bereits im ersten Wahlgang einen Kandidaten für das Amt des Landtagspräsidenten zu nominieren.
Die bisherige Regelung sah vor, dass nur die stärkste Fraktion – in diesem Fall die AfD – einen Kandidaten für die erste Wahlrunde aufstellen durfte. Die CDU beanstandete dies und forderte, dass alle Parteien die Möglichkeit haben sollten, ihre Vorschläge einzubringen. Doch Treutler ignorierte diese Forderung, unterbrach die Sitzung mehrfach und verhinderte so eine Abstimmung.
Die Rolle des Verfassungsgerichtshofs
Der Thüringer Verfassungsgerichtshof musste aufgrund des Blockadeverhaltens von Treutler einschreiten. Am Freitag, den 27. September 2024, traf das Gericht eine richtungsweisende Entscheidung: Der Alterspräsident wurde dazu verpflichtet, vor der Wahl des Landtagspräsidenten über die beantragte Änderung der Geschäftsordnung abstimmen zu lassen.
Das Gericht stellte klar, dass die Abgeordneten das verfassungsmäßige Recht haben, über die Tagesordnung der konstituierenden Sitzung zu bestimmen. Dies schließt sowohl die Festlegung der Themen als auch deren Reihenfolge ein. Dementsprechend ist es zulässig, dass bereits vor der Wahl des Landtagspräsidenten über eine Änderung der Geschäftsordnung beraten und abgestimmt wird.
Rechtliche Bewertung der Entscheidung
Das Gericht betonte, dass die von der CDU vorgeschlagene Regelung nicht gegen die Thüringer Verfassung oder gegen verfassungsrechtliche Gewohnheiten verstößt. Vielmehr steht sie im Einklang mit der verfassungsmäßig garantierten Parlamentsautonomie. Damit war der Weg frei für eine demokratische Auseinandersetzung im Landtag, die auch anderen Parteien das Recht einräumt, Wahlvorschläge zu unterbreiten.
Auswirkungen der Entscheidung auf die AfD
Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs war ein herber Rückschlag für die AfD, die sich als stärkste Fraktion exklusive Rechte bei der Wahl des Landtagspräsidenten gesichert hatte. In den Tagen zuvor hatten sich AfD-Mitglieder, darunter auch der Thüringer Parteichef Björn Höcke, immer wieder ablehnend gegenüber der CDU-Forderung geäußert. Höcke äußerte noch am Tag des Urteils Zweifel an der Unparteilichkeit des Gerichts und erklärte auf der Plattform X (ehemals Twitter), dass die Richter politisch voreingenommen seien.
Offenbar hatte die AfD eine Eskalation der Lage bewusst geplant. In einem im Netz kursierenden Video gibt Jürgen Treutler zu, dass die Strategie darin bestand, den Konflikt ins Verfassungsgericht zu tragen.
Szenarien bei Nichtbeachtung des Urteils
Sollte Treutler sich trotz der klaren Anweisung des Gerichts weigern, die Abstimmung über die Geschäftsordnung durchzuführen, könnte der Landtag über seine Ablösung abstimmen. In diesem Fall würde der zweitälteste Abgeordnete, Wolfgang Lauerwald (69), ebenfalls AfD-Mitglied, die Sitzung übernehmen. Falls Lauerwald die Übernahme ablehnen sollte, würde ausgerechnet Bodo Ramelow, der scheidende Ministerpräsident der Linken, als drittältester Abgeordneter die Rolle des Sitzungsleiters übernehmen.
Unklar bleibt, was geschehen würde, falls Treutler trotz einer möglichen Ablösung weiterhin auf seinem Sitz bestehen bleibt und die Sitzung nicht ordnungsgemäß leitet. Dieses Szenario könnte den parlamentarischen Prozess weiter verzögern und zusätzliche rechtliche Schritte notwendig machen.
Zehn Stunden Beratung im Verfassungsgericht
Die Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs war das Ergebnis intensiver Beratungen, die sich über mehr als zehn Stunden erstreckten. Das Gericht betrat dabei juristisches Neuland, da ein solcher Fall in der deutschen Verfassungsgeschichte bislang noch nicht vorgekommen war.
Am Freitagmittag hatte Jürgen Treutler dem Gericht eine ausführliche Stellungnahme übergeben, die insgesamt 39 Seiten umfasste. Darin beantragte er unter anderem, die Anträge der CDU als unzulässig zu verwerfen. Doch das Gericht kam zu einem anderen Schluss und entschied zugunsten der CDU.
Politische Dimension des Konflikts
Die Auseinandersetzung im Thüringer Landtag ist nicht nur ein juristischer Streit, sondern auch ein Ausdruck der tiefen politischen Gräben, die sich durch das Parlament ziehen. Die AfD versucht, als stärkste Fraktion ihre Position zu festigen und beansprucht die exklusiven Rechte, die ihr nach der bisherigen Geschäftsordnung zustehen. Gleichzeitig formieren sich die anderen Parteien, um eine weitere Machtausweitung der AfD zu verhindern.
Björn Höcke, der als eine der umstrittensten Figuren der AfD gilt, spielt in diesem Konflikt eine zentrale Rolle. Er hat mehrfach deutlich gemacht, dass er die CDU und andere etablierte Parteien als Gegner ansieht, die seiner Meinung nach versuchen, die AfD trotz ihres Wahlerfolgs zu marginalisieren. Seine Aussagen auf X, in denen er den Richtern politische Voreingenommenheit vorwirft, sind Ausdruck dieser Haltung.