In mehreren deutschen Städten wurden erneut Polioviren in Abwasserproben nachgewiesen. Das Robert-Koch-Institut (RKI) zeigt sich besorgt über diese Entwicklung und warnt vor einer möglichen Ausbreitung der Viren innerhalb der Bevölkerung. In seinem aktuellen epidemiologischen Bulletin stuft das Institut das Risiko einer Übertragung von Mensch zu Mensch inzwischen als „zunehmend wahrscheinlicher“ ein.
Unklarheit über das Ausmaß der Infektionen
Eine genaue Zahl von Infizierten lässt sich laut RKI derzeit nicht ermitteln. Besorgniserregend sei, dass Menschen, die keinen oder nur unvollständigen Impfschutz haben, durch eine Infektion an Poliomyelitis – auch bekannt als Kinderlähmung – erkranken können. Poliomyelitis ist eine hoch ansteckende Viruserkrankung, die zu bleibenden Lähmungen oder sogar zum Tod führen kann. Meist erfolgt der Erstkontakt mit dem Virus bereits im Kindesalter.
Nachweise aus mehreren Großstädten
Die aktuellen Virusnachweise stammen aus Abwasserproben aus Dresden, Mainz, München und Stuttgart. Sie deuten darauf hin, dass sich in den Einzugsgebieten der betroffenen Kläranlagen Personen befinden, die den Erreger ausscheiden. Dabei handelt es sich offenbar um sogenannte Impfviren, die von abgeschwächten Lebendimpfstoffen stammen und nach der Impfung über mehrere Wochen ausgeschieden werden können. Diese Schluckimpfstoffe werden in Deutschland seit 1998 nicht mehr verwendet, kommen aber in einigen anderen Ländern weiterhin zum Einsatz.
Keine Erkrankungsfälle bislang gemeldet
Wilde Polioviren sind aktuell nur noch in Afghanistan und Pakistan verbreitet. In Deutschland wurden bislang keine Fälle von Polio-Erkrankungen gemeldet, und auch eine direkte Übertragung innerhalb des Landes konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Offen bleibt, ob die Funde auf mehrere einzelne Einträge aus dem Ausland oder auf lokale Infektionsketten zurückzuführen sind.
RKI fordert vollständige Impfungen
Das RKI ruft eindringlich dazu auf, Impflücken in der Bevölkerung zu schließen. Besonders bei Kindern im frühen Alter bestehe Nachholbedarf: Nur etwa jedes fünfte Kind ist im Alter von zwölf Monaten vollständig gegen Polio geimpft. Bis zum zweiten Lebensjahr steigt der Anteil auf 77 Prozent. RKI-Präsident Lars Schaade betonte im „Ärzteblatt“, dass jede Person in Deutschland eine Polio-Impfung haben sollte. Auch vollständig Geimpfte könnten sich mit dem Virus infizieren und diesen weiterverbreiten – ohne selbst zu erkranken.