Respekt und Anstand, einst Grundpfeiler des gesellschaftlichen Zusammenlebens, scheinen zunehmend aus unserem Alltag zu verschwinden. Gewalt gegen Polizisten, Lehrer, Feuerwehrleute und medizinisches Personal ist längst kein Einzelfall mehr, sondern erschreckender Alltag. Die aktuellen Zahlen und Vorfälle, insbesondere in Berlin, zeigen das Ausmaß der Respektlosigkeit und Gewaltbereitschaft. Doch wie konnte es so weit kommen, und was sind die Ursachen für diese bedenkliche Entwicklung?
Gewalt gegen Einsatzkräfte: Die Silvesternacht als Symptom
In der Silvesternacht 2025 wurden allein in Berlin 37 Polizisten verletzt, einer von ihnen schwer. Angriffe mit Feuerwerk, Flaschenwürfe und körperliche Übergriffe dominierten die Nacht. 400 Festnahmen und 670 Anzeigen wegen Verstößen gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz sowie Körperverletzung unterstreichen die Dimensionen dieser Verrohung.
Diese Vorfälle sind keine Einzelfälle. Bereits im November 2024 wurde bei einer Pro-Palästina-Demo ein Polizist von einem Mob eingekesselt, beleidigt und gefilmt. Niemand griff ein, um zu helfen – ein klares Zeichen für den Verlust von Respekt gegenüber staatlicher Autorität.
Schulen im Ausnahmezustand: Respektlosigkeit und Gewalt im Klassenzimmer
Die Friedrich-Bergius-Schule als Beispiel
Auch in den Schulen zeigt sich die Verrohung der Gesellschaft. Die Friedrich-Bergius-Schule in Berlin, einst ein Vorzeigeprojekt, hat sich zu einer Problemschule entwickelt. Lehrer berichten von Flaschenwürfen, Mobbing und körperlicher Gewalt. In einem Brandbrief schildern sie alarmierende Zustände: Schüler filmen Mitschüler auf Toiletten, zünden Böller im Schulgebäude und greifen Lehrkräfte an.
Gewalt als Strategie
Laut Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, tragen Frustration, Perspektivlosigkeit und der Missbrauch sozialer Medien zur Gewaltbereitschaft von Schülern bei. Gewalt wird für viele Jugendliche zu einer akzeptierten Strategie, Konflikte zu lösen oder Aufmerksamkeit zu erlangen.
Gewalt gegen Retter: Wenn Helfer zu Opfern werden
Angriffe auf Feuerwehr und medizinisches Personal
Nicht nur Polizisten und Lehrer sind betroffen – auch Feuerwehrleute und medizinisches Personal werden zunehmend Opfer von Gewalt. Im Jahr 2023 wurden knapp 4000 Einsatzkräfte attackiert, ein Anstieg um über 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Besonders dramatisch war ein Vorfall in Essen, bei dem Angehörige eines verstorbenen Patienten das Krankenhauspersonal angriffen und mehrere Menschen verletzten.
Ursachen für die Respektlosigkeit
Psychologin Prof. Dr. Wera Aretz sieht in der Angst und Unsicherheit, die durch Krisenzeiten verstärkt werden, eine zentrale Ursache. Diese Gefühle schlagen oft in Wut um, die sich dann in Gewalt entlädt. Gleichzeitig beobachtet sie einen Wertewandel: Pflichtbewusstsein und Respekt weichen Egoismus und Rücksichtslosigkeit.
Gesellschaftliche Ursachen: Der Verlust staatlicher Autorität
Systematischer Abbau von Respekt
Laut Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, begann der Verlust staatlicher Autorität schon vor Jahrzehnten. Schulen, Gerichte und Polizeistationen hätten an gesellschaftlicher Anerkennung verloren. Der Staat werde von vielen nur noch als "zahlungspflichtige Sozialkasse" wahrgenommen, nicht jedoch als Instanz, die Respekt verdient.
Die Rolle der Politik
Wendt fordert ein Umdenken in der politischen Führung: Regeln müssten konsequent durchgesetzt, Klagewege gegen Lehrkräfte begrenzt und staatliche Beschäftigte besser geschützt werden. Nur so könne das Vertrauen in staatliche Institutionen wiederhergestellt werden.
Prävention und Intervention: Wege aus der Krise
Gewaltprävention an Schulen
Stefan Düll betont, dass verrohte Jugendliche nicht zwangsläufig zu verrohten Erwachsenen werden. Gewaltprävention und -intervention, unterstützt durch Polizei und pädagogische Maßnahmen, könnten helfen, Werte wie Respekt und gewaltfreie Konfliktlösung zu vermitteln.
Stärkung von Autorität und Werten
Experten sind sich einig, dass die Wiederherstellung von Respekt vor staatlichen Institutionen und Autoritätspersonen essenziell ist. Eine Rückbesinnung auf Werte wie Anstand, Pflichtbewusstsein und Gemeinschaftssinn könnte die wachsende Respektlosigkeit eindämmen.